Gert Weber – Laudatio zur Ausstellung „Seismogramme“

Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund, Berlin, 09.12.2009

Sehr geehrter Herr Stehfest, liebe Christa Schubert- Deister, lieber Jonas, sehr geehrter Herr Duchac, liebe Freunde und Bekannte von Werner Schubert, werte Gäste!
Es ist mir eine große Freude, heute Abend diese Ausstellung mit Werken des von mir hoch geschätzten WERNER SCHUBERT-DEISTER hier in Berlin gemeinsam mit Ihnen eröffnen zu können. Für mich steht WERNER SCHUBERT-DEISTER in der ersten Reihe der Künstler in der jüngeren Geschichte Thüringens. Wenngleich das Land bis vor 20 Jahren in die drei Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt war, bildete dieses geschichtsträchtige Thüringen für WERNER SCHUBERT-DEISTER den Arbeits- und Lebensmittelpunkt für Jahrzehnte. Hier hatte er seine ersten Ausstellungen, hier sind seine Grafiken im Kupferstichkabinett des Gothaer Schlossmuseums archiviert, und in vielen Katholischen Kirchen, von Südwestthüringen bis zum nördlichen Eichsfeld hin sind seine meist plastischen Gestaltungen mit liturgischen Funktionen heute noch zu sehen. Hier hatte er seine Erfolge, hier hatte er aber auch die Konflikte mit den Vertretern des untergegangenen realsozialistischen Systems. Umso wichtiger, dass diese Werkschau heute, 20 Jahre nach dem friedlichen Untergang der DDR, hier in der Thüringer Landesvertretung zu sehen ist. Allen daran Beteiligten möchte ich persönlich hierfür danken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Ausstellung trägt den Titel „Seismogramme“. Eine, wie ich finde, passende Analogie, denn Künstler sind in ihrem Schaffen mit Sensoren vergleichbar; sie sind Fühler und Empfänger von Signalen, die sonst kaum von Einzelnen oder gar der ganzen Gesellschaft wahrgenommen werden. Dabei ist es völlig egal, in welchem gesellschaftlichen Gefüge sich jener Künstler gerade befindet oder befand. Seismografische Intelligenz: Das ist die Fähigkeit, Dinge zu erspüren, die unter der Oberfläche brodeln und diese dann sichtbar zu machen.
WERNER SCHUBERT-DEISTER war so einer, der sich analytisch und inspirativ mit Dingen und Themen beschäftigte, an die damals nur wenige zu denken in der Lage waren. Themen aus Naturwissenschaft, Technik und Medizin mit Titeln wie „Angina temporis, Befruchtungsmoment, Physikalisches Spannungsmoment, Contergan-Familie, Schizophrenie, Sterbende Kreatur und Kriegsgespenst“ – diese drängenden Fragen ihrer Zeit haben eine ganz spezielle schlüssige bildnerische Umsetzung erfahren.

Bitte erwarten Sie jetzt keine kunstwissenschaftliche Analyse oder formale Zuordnungen zu den Arbeiten, die hier zu sehen sind. Das will ich gerne denjenigen überlassen, die sich hoffentlich bald daran machen werden, dieses Lebenswerk entsprechend aufzuarbeiten und ihm den Stellenwert zuordnen, den es verdient! Meinerseits will ich gerne dazu beitragen. Vielmehr will ich versuchen, Ihnen diese Künstlerpersönlichkeit WERNER SCHUBERT-DEISTER aus einer persönlichen Sicht näher zu bringen. Und zwar aus der ganz subjektiven Perspektive seines ehemaliger Schülers und langjährigen Freundes. Dabei werde ich auch Zitate und Aussagen von WERNER SCHUBERT-DEISTER einflechten – etwa diesen ersten Satz:
„Ich möchte auch mal in z. B. Südostasien oder Westeuropa ausstellen und das ist mir nicht erlaubt. Bei uns will ich zwar in erster Linie ausstellen, aber auch bei denen da drüben. Damit die nicht immer denken, dass wir zu dumm sind, um so etwas zu machen.“ Diese Aussage von WERNER SCHUBERT-DEISTER stammt aus einem Vernehmungsprotokoll vom 17.09.1981, erstellt vom Rat der Stadt Friedrichroda. Hier wurde dem Antragsteller auf ständige Ausreise aus der DDR in die BRD klar gemacht, dass „sein Antrag auf Grund der nicht vorhandenen Rechtsgrundlage als rechtswidrig zurückgewiesen wird“.
Auf den Satz – „Damit die drüben nicht denken wir wären zu dumm, um so etwas zu machen“ – werde ich später noch einmal zurückkommen, weil heute immer noch, nach zwanzig Jahren Mauerfall, zwischen Ost- und Westkunst derart schwarz-weiß gemalt wird, dass der Eindruck entsteht oder entstehen soll, als hätte es seinerzeit im Osten Deutschlands keine Kunst außer der staatlich verordneten und geförderten gegeben! Dass dem nicht so war, zeigt diese Ausstellung mit Werken von WERNER SCHUBERT-DEISTER. Diese Arbeiten belegen deutlich, dass da sehr wohl einer auf der Höhe seiner Zeit arbeitete und alles andere als angepasst oder gar von provinziellem Geiste war. Hier hatte einer kräftig gegen den Strich gebürstet – aber um welchen Preis?!

Rückblende: WERNER SCHUBERT wurde am 21.07.1921 im nordthüringischen Dorf Hachelbich geboren. Er besuchte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Musikschule in Sondershausen und wurde dann als Fallschirmspringer zur Wehrmacht eingezogen. Mit schweren Verwundungen – nicht nur körperlicher Art – kehrte er aus dem Krieg zurück und setzte zunächst seine Musikerausbildung in Sondershausen und Weimar fort. Er studierte Klavier und Kontrabass und blieb diesen Instrumenten zeitlebens verbunden, teils zur Absicherung seiner Existenz, aber auch zur Erprobung in bildkünstlerischen Umsetzungen und Experimenten. Neben seinem musikalischen Talent hat sich die bildkünstlerische Begabung stärker durchgesetzt, denn er war bis 1952 Privatschüler bei der Leipziger Grafikerin Professor Elisabeth Voigt, die nur ein Jahr später 1953 wegen ihrer offenen christlichen Haltung sowie massiven Formalismusvorwürfen ausgesetzt ihre Lehrtätigkeit an der HGB Leipzig aufgeben musste. Damals teilte die Professorin mit ihren Studenten nicht nur ihre geistigen Werte, sie teilte auch ihr tägliches Brot mit ihren Schülern in einem von Not und Armut gebeutelten Nachkriegsdeutschland. Elisabeth Voigt war Schülerin von Carl Hofer und Meisterschülerin von Käthe Kollwitz, und aus ihrer Schule gingen hervorragende Künstlerpersönlichkeiten der jüngsten deutschen Geschichte hervor: u. a. Arndt Schultheiß, Heinz Scharr, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, um nur einige zu nennen. Auf diese bedeutende geistige Verbundenheit zu E. Voigt und ihren Lehrern Hofer u. Kollwitz legte WERNER SCHUBERT immer sehr viel Wert – er sah sich als ein Glied in dieser zeichnerisch-grafischen Kette und war auch selbst geprägt von einem christlichhumanistischen Selbstverständnis. Folgerichtig beteiligte er sich auch 1956 an der großen Ausstellung „Christliche Künstler stellen aus“, die anlässlich des 8. Parteitages der CDU in der Weimarer Kunsthalle stattfand.

Kurz darauf bahnten sich die erste Erfolge an, und mit dem Schritt zur freiberuflichen Laufbahn war er auch in Friedrichroda sesshaft geworden. Mit Aufträgen der Kirchen hielt er sich mehr oder weniger über Wasser, während zur gleichen Zeit bereits Bilder von der Berliner Nationalgalerie (West) angekauft wurden. Ebenso entdeckten bedeutende Sammler, etwa das Erfurter Ehepaar Ilse und Rudolph Franke, Schuberts Können und kauften über die Jahre eine stattliche Anzahl von Arbeiten an, die heute zu den Juwelen ihrer Stiftung im Erfurter Angermuseum zählen.
1961 dann der Mauerbau: Wie alle anderen Menschen im Ostteil Deutschlands war auch WERNER SCHUBERT von der Welt abgeschnitten. Mit der Doktrin des Sozialistischen Realismus und der Kulturpolitik des Bitterfelder Weges konnte er nichts anfangen; das war zu platt, zu dumpf und vor allem zu politisch indoktriniert. Da blieb für kreative Köpfe und schöpferische Geister nicht viel Platz. Wer nicht mitmachte, hatte damals keine Chance, am offiziellen Kunstbetrieb zu partizipieren. Also musste er sich einerseits Partner und Verbindungen suchen, die bereit waren, seine geistig ideellen Werte mitzutragen, und andererseits musste er eine Basis finden, die sein rein materielles Überleben sichern konnte, was ihm mit einer sehr spartanischen Lebenshaltung und einer gewissen Zurückgezogenheit auch gelang.
Und dennoch: Trotz oder vielleicht sogar aufgrund der offiziellen Ignoranz war dieser Schubert aus Friedrichroda damals allen, aber auch allen, die sich auch nur annähernd mit Kunst, Philosophie und Gestaltung beschäftigten, ein Geheimtipp. Er war eine Offenbarung geistiger Unabhängigkeit innerhalb eines spürbar abgeriegelten Systems. Und er war eine riesige Herausforderung für jene, deren Weltbild nur vom Schulwissen „Weltall – Erde – Mensch“ geprägt war, sowie für jene, die oberflächlich daherkamen und für alles und jedes eine Antwort parat hatten.

In dieser Zeit, Anfang der siebziger Jahre, habe ich bei ihm angeklopft als vermeintlich gescheiterter Kunststudent. Er hat mir nicht nur im Wortsinn die Tür geöffnet, er hat mir Fenster aufgestoßen und Horizonte gezeigt, die unsereins zu überwinden hatte. Und nicht nur mir! Es gab damals viele, sehr viele Menschen, die sich geradezu von ihm angezogen fühlten. Mir sind sie immer noch gegenwärtig, die philosophischen Abende mit Tschechischen Professoren, Musikern und Komponisten wie Karl-Ernst Sasse, der schon damals berühmte Filmkomponist aus Babelsberg. Auch die gesamte Theologische Fakultät der Erfurter Uni und einige Professoren der Leopoldina Halle gingen im Atelier der Karl-Marx-Str. in Friedrichroda ein und aus. Überhaupt waren die siebziger Jahre für WERNER SCHUBERT persönlich die wohl besten, hinsichtlich einer für damalige Verhältnisse durchaus öffentlichen, wenngleich nicht offiziellen Wahrnehmung sowie dank der Eheschließung mit Christa Deister. Mit der Geburt der Kinder David, Judith und Jonas gewannen die familiäre Fürsorge und die persönliche Verantwortung größere Priorität. Damals habe ich ihn als eine äußerst starke Persönlichkeit erlebt, der niemand und nichts etwas anhaben konnte. Er war aber nicht nur für Intellektuelle ein Anlaufpunkt. Mit seiner starken sozialen Prägung und Ausstrahlung war er allen möglichen problembehafteten Menschen ein guter Helfer. Auch den vielen jungen Schülern und Studenten, die sich an den gesellschaftlichen Zuständen rieben und daran fast zerbrachen, war er eine moralische Instanz. Die beiden Brüder und Musiker Michael und Matthias von Hintzenstern können dies aus eigener Erfahrung bestätigen. Besonders seine engen Kontakte zur Jenaer Studentengemeinde sind mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Sie bezeugen, dass mit der Zivilcourage und dem Widerstand Weniger, ja Einzelner bereits damals in den siebziger Jahren an den Grundfesten dieser unheilvollen Diktatur gerüttelt wurde. WERNER SCHUBERT-DEISTER war kein Maler im Elfenbeinturm – das war einer, der Mitten im Leben stand, dem nichts Menschliches fremd war.

Ende der siebziger Jahre wurden die staatlichen Repressalien gegen WERNER SCHUBERT-DEISTER immer stärker, und er ging mehr und mehr in die innere Emigration. Die für Außenstehende weiterhin durchaus wahrnehmbare Vitalität und kämpferische Verve war innerlich bereits angegriffen. Freunde und Eingeweihte spürten es – und fragten sich: Wie lange hält das ein Mensch aus? Arbeit, Arbeit und keine Anerkennung, zensierte Ausstellungen, verbotene Ausstellungen, Ausgrenzung bis hin zur Beschlagnahme und Auslöschung von Werken … Wie lange hält das ein Mensch aus?
Die Anerkennung, die ihm und seinem Werk in der ehem. DDR offiziell versagt blieb, verschaffte ihm das befreundete Journalistenpaar Grüner aus München, das von 1974 bis 1979 Arbeiten nach dem Westen schmuggelte und damit in Hamburg, Speyer und Konstanz erfolgreiche Ausstellungen organisierte.
Da war er nun, wo er immer hin wollte: international zu zeigen, was er geschaffen hat, „damit die nicht immer denken, dass wir zu dumm sind, so etwas zu machen“. Doch dieses Glück währte nicht lange – Miehlkes Spitzel waren überall in Deutschland unterwegs, wie wir heute natürlich besser wissen. Das Ehepaar Grüner wurde von den Grenzern verhaftet und aus der Haft nur gegen Kaution wieder freigelassen. Wegen illegalen Kunsthandels und des Verstoßes gegen das Devisengesetz der ehemaligen DDR wurden sämtliche Bilder beschlagnahmt und per Strafbefehl des Staatsanwaltes das gesamte Vermögen der Familie eingezogen. Die Familie war über Nacht mittellos, und WERNER SCHUBERT-DEISTER musste sich von seinen wichtigsten und liebsten Bildern trennen, um zu Geld zu kommen. Die von einem Parteifunktionär angeordnete Zerstörung einiger seiner Bildhauerarbeiten war dann letztendlich Anlass genug, um einen Ausreiseantrag in die BRD zu Stellen. Das war wie bereits erwähnt 1981. Es sollte noch weitere fünf Jahre dauern, bis der Künstler 1986 mit seiner Familie infolge einer Intervention der UN-Menschenrechtskommission aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen wurde. Ich habe diese 5 Jahre als die schlimmsten für ihn und seine Familie empfunden: die ständige Ungewissheit, die Angst und der subtile Psychoterror seitens der Behörden. Was uns nach seinem Weggang blieb, war eine große Leere und Trauer.

Lassen Sie uns nochmals auf das eingangs erwähnte Verhörprotokoll zurückkommen: „Ich habe noch über 4000 Werke und Entwürfe, die noch niemand kennt, weil sich der Verband (also der ehem. VBK DDR Berufs und Förderinstitution) gar nicht die Mühe macht und sich mein Atelier anschaut.“ Damals als 60-Jähriger hatte WERNER SCHUBERT-DEISTER bereits einen Großteil seines Lebenswerks vollendet: gemalt, gezeichnet, in Stein
gehauen, in Holz geschlagen – in allen Genres der bildenden Kunst hat WERNER SCHUBERT-DEISTER Werke geschaffen aus seiner Zeit heraus, wie er immer wieder betonte.
Und die aus heutiger Sicht seiner Zeit voraus waren und es zum Teil heute noch sind. So entstanden in den 70er Jahren in Friedrichroda Arbeiten, die den 2005 in Düsseldorf gezeigten Werken Gerhard Richters in nichts nachstehen. Den Freunden und Eingeweihten war damals klar, welch ein Alchemist, Magier und Prophet hier Bilder ans Licht der Welt brachte.
Innere Bilder – keine Abbilder – aus den tiefen Schichten des Unterbewusstseins, aus dem Erlebten geschöpft. Epizentrum des kreativen Schaffens war ein alter, dunkler Eiskeller der Fleischerei Linz im Thüringischen Friedrichroda. Ateliers gab es damals nur für Partei-hörige Maler und Grafiker, der Rest der Künstlerkollegen arbeitete ohnehin nur in den Wohnungen, und diese waren ebenfalls knapp. Aber das war kein Atelier mit hohen großen Fenstern und Parkettboden – das war ein Betonbunker mit meterdicken Wänden und einem Zugloch, einem schwer zugänglichen Eingang mit einer starkwandigen Tür, einem Kanonenofen und einer 100 Watt Glühbirne, die hängend in einer Fassung dem Raum die richtige Stimmung gab. Mehr gab es dort nicht. Es war im Sommer wie im Winter in dieser Behausung bitterkalt, aber es war zugleich genial, spannend und subversiv! Stapelweise bemaltes Papier, Kartons, Sperrholzpappen – denn Leinwände waren Luxus – es wurde gemalt, worauf es pappte (diesen Spruch von Wilhelm Leibl hatte er öfter parat). In diesem kaum zu beschreibenden Refugium und Sammelsurium entstanden wohl die meisten und besten seiner Werke.

Um bei dieser Beschreibung der Arbeitsbedingungen von WERNER SCHUBERT-DEISTER zu bleiben, möchte ich Ihnen einen Protokollauszug vom 16.10.1981 in Zusammenhang mit den Ursachen des Ausreiseantrags nicht vorenthalten. Erst infolge des Ausreiseantrags sahen sich Vertreter des Verbands genötigt, WERNER SCHUBERT-DEISTER einen Besuch abzustatten. Dieses Schreiben mit Titel „Über einen Atelierbesuch beim Kollegen Schubert-Deister“ wurde von verschiedenen Künstlern verfasst. Unter ihnen befanden sich – wie wir heute wissen – sowohl Stasi-Zuträger wie auch Mitglieder jener Jurys, die Werke von WERNER SCHUBERT-DEISTER bewusst von den Ausstellungen ausschlossen. Im Protokoll der Kollegen heißt es schließlich mit schneidender Doppelmoral: „Es ist schon unverständlich genug, dass trotz der jahrelangen Kenntnis einiger Verbandskollegen von diesen Zuständen nichts in Richtung Hilfe und Unterstützung wirksam geworden ist. So ist die Tatsache, dass unter den Augen der örtlichen staatlichen Organe von Friedrichroda 30 Jahre ein eingeschriebenes Mitglied des VBK der DDR in einem Objekt arbeitet, dessen Beschaffenheit in kaum einem Punkt den gesetzlich festgelegten Parametern für die Haltung von Nutztieren entspricht …“ Zitat Ende.
Während die Kollegen in diesem Schreiben ihre Hände in Unschuld wuschen, sich scheinheilig als Moralapostel darstellten und die oben genannten staatlichen Organe dafür verantwortlich machten, um den Anschein zu erwecken, als kümmere man sich um die Belange des WERNER SCHUBERT-DEISTER, ja sorge man sich sogar um ihn, bezeichnet WERNER SCHUBERT-DEISTER im gleichen Protokoll den Verband Bildender Künstler als
den eigentlichen Täter. Zitat: „Ich werde in meiner Arbeit überhaupt nicht beachtet, das beleidigt mich zutiefst! Für mich ist entscheidend, dass ich das machen kann, was auch ein Herr Sitte oder andere können. Das ausstellen zu können, was ich will, was ich geschaffen habe!“
Welche Dramatik hinter diesen Sätzen steckt, lässt sich kaum erahnen! Doch diese Dramatik durchzieht die gesamte Schaffensphase des Künstlers Schubert Deister, und man muss heute ein ganz klares Urteil fällen: In Thüringen ist vor 30 Jahren ein großes Unrecht geschehen; damals ist eine großartige Künstlerkarriere ganz perfide und systematisch verhindert worden. Damit stehen wir vor der Frage: Was bleibt? Heute, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, ist das Geschilderte eine glücklicherweise kaum mehr nachvollziehbare Situation und für die meisten unter uns, die jene vergangene Zeit in einer Diktatur nicht erleben „mussten“, schier unglaublich, unvorstellbar schlechthin.

Die Botschaft seines Werkes prägt eben diese Tatsache: Wie er uns allen vorgelebt hat, dass die Freiheit der Kunst und die Freiheit des Individuums in seinem Denken von keiner Diktatur der Welt oder von anderen gesellschaftlichen Zwängen be- bzw. eingeschränkt werden kann. Und auch eine zweite Erkenntnis gibt uns das Schaffen WERNER SCHUBERT-DEISTERs mit auf den Weg: Die deutsche Teilung als Ergebnis des 2. Weltkrieges ist für die Entwicklung der Kunst in beiden Teilen Deutschlands ausschlaggebend gewesen. Dennoch ist eine Kunst, nur weil sie in der DDR entstand, nicht besser und nicht schlechter als wäre sie in der BRD entstanden. Entscheidend ist doch nur, dass es denn auch Kunst ist. In dem Falle ist es völlig egal, unter welchem Banner sie entstand. Mit diesen beiden Folgerungen möchte ich Sie nun den Werken meines Mentors und Freundes WERNER SCHUBERT-DEISTER überlassen. Seien Sie sich des Spannungsfeldes ihrer Entstehung bewusst, dann wird sich Ihnen die ganze schöpferische und intellektuelle Größe seines Erbes erschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und vielen Dank nochmals allen, die zum Gelingen dieser Ausstellung an diesem Ort beigetragen haben.

Informationen zu Gert Weber (webbs)