Die Stasi tat mitleidig

von Karl-Heinz Baum, Rheinischer Merkur, 08.04.2010

„Ich möchte auch mal in Südostasien oder Westeuropa ausstellen, und das ist mir nicht erlaubt. Bei uns will ich zwar in erster Linie ausstellen, aber auch bei denen da drüben. Damit die nicht immer denken, dass wir zu dumm sind, so etwas zu machen.“ (Quelle). Das hielt der Thüringer Maler, Grafiker und Bildhauer Werner Schubert-Deister am 17.Juli 1981 seinem Gegenüber im Rathaus Friedrichroda vor. Doch der Staatsvertreter eröffnete dem Künstler, der in der Stadt unterhalb des Höhenwanderwegs Rennsteig wohnte, in typischem DDR-Deutsch, der Antrag des „Übersiedlungsersuchenden“ in den Westen werde „aufgrund der nicht vorhandenen Rechtsgrundlage als rechtswidrig zurückgewiesen“.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Schubert-Deister mit seiner Arbeit in der DDR schon abgeschlossen. Er wurde 1921 in Hachelbich (Kyffhäuserkreis) geboren. Zwei Jahre vor seinem Antrag war etwas geschehen, was jeden Künstler ins Mark treffen muss. Die DDR verhaftete zwei westdeutsche Freunde bei der Einreise. Sie hatten bei früheren Besuchen eine ganze Reihe seiner Bilder mitgenommen, beim Zoll registrieren lassen und auf Ausstellungen in Hamburg, Speyer, Konstanz und Neuburg an der Donau gezeigt. Dabei waren auch einige Werke verkauft worden – für die DDR ein Devisenvergehen, denn Geschäfte im Westen wollte nur sie machen. Die Anklage gegen die Freunde und Ehefrau Christa lautete: illegaler Kunsthandel.

Bedingung für die Freilassung der Westfreunde: Sie mussten dafür sorgen, dass alle Bilder des Künstlers, die im Westen waren, wieder in die DDR kamen: ausgestellte, verkaufte, selbst verschenkte, die andere ordnungsgemäß mitgenommen hatten. Außerdem mussten sie 20 000 Westmark Kaution zahlen. Gegen Christa Schubert-Deister verhängte der Bezirksstaatsanwalt einen Strafbefehl über das gesamte Vermögen und beschlagnahmte alle 177 rückgeführten Gemälde. Die Familie war mittellos. Die Bilder sah der Künstler nicht wieder. Erst 2003 teilte das Schlossmuseum Gotha mit, 99 Bilder seien gefunden. Die anderen Werke werden bis heute vermisst. Werner Schubert-Deister erlebte den Fund schon nicht mehr. Er starb 1991.

1978, schon ein Jahr vor der Verhaftung der Freunde, ließ ein Gothaer Funktionär des staatlichen Forstbetriebs eine in monatelanger Arbeit geschaffene Auftragsarbeit über Nacht zerstören. Die Familie durfte erst nach fünf Jahren Wartezeit gehen – nach einer Intervention der UN-Menschenrechtskommission und des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt. Neue Heimat wurde Borsum bei Hildesheim.

Schubert-Deisters Ausstellungen im Westen (er konnte sie nicht ansehen), vor allem der Bilderverkauf, kamen der DDR gerade recht. Dass die DDR-Kulturbürokratie solches Tun selbst herausforderte, auf den Gedanken kam man nicht. Der Künstler gehörte zwar seit 1952 (Ende des Studiums bei der Käthe-Kollwitz-Schülerin Elisabeth Voigt in Leipzig) dem Verband Bildender Künstler der DDR an. Doch in dieser Diktatur hatte er von Anfang an einen Makel. Dass er auch im Künstlerverband Westberlin Mitglied blieb, nahm man in frühen DDR-Zeiten noch hin, auch wenn es Anlass zu Misstrauen lieferte. Schlimmer war, dass er sich von seiner christlichen Grundhaltung nicht abbringen ließ und sich nicht dem vorgegebenen „Sozialistischen Realismus“ anpasste, dem sich viele ostdeutsche Künstler beugten oder beugen mussten, weil sie glaubten, nur so überleben
zu können.

Den Sozialistischen Realismus mit seinen Brigadefeierbildern lehnte Schubert-Deister ab, hielt ihn für platt, dumpf und politisch indoktriniert. Vielmehr malte und formte er, wie er es für richtig hielt. Die menschliche Würde und die Gefährdung des Individuums waren Themen seines Schaffens, und so eben auch Umweltzerstörung, technologischer Fortschritt, Krankheit, Leid, Krieg. Er war im Zweiten Weltkrieg schwer verwundet worden. In vielen Werken taucht das Kreuz als Inbegriff der Hoffnung auf, als Symbol der Überwindung einer unheilen Welt.

„Heiliger Sebastian unserer Zeit“