Auch hier fress ich keinem aus der Hand

von Heinz-Rudolph Othmerding, dpa, 22.01.1987

Er ist einer von gut 100 männlichen Künstlern, die, teils legal, teils illegal, teils nach Gefängnisaufenthalt und Freikauf gegen DM-West 1986 aus der DDR ausreisten. Werner Schubert-Deister, 65 Jahre alt, bemühte sich jahrelang, als Maler die Unversehrtheit der persönlichen Identität mit dem in Einklang zu bringen, was jenseits der innerdeutschen Grenze mit „sozialistischem Realismus“ bezeichnet wird. Der Versuch mißlang.

Fünf Jahre kämpfte Schubert-Deister mit den DDR-Behörden um die Ausreisegenehmigung. Mit UNO-Unterstützung gelang das Vorhaben letztlich. Mit Hunderten von Zeichnungen, Graphiken und Bildern verließ er im Juli 1986 den Staat, der ihm das Leben schwergemacht hatte, und siedelte sich in Borsum bei Hildesheim an.

Werner Schubert-Deister ist ein Vollblutmaler, ein Künstler, der sein Werk körperlich erlebt. Seine erste im Westen produzierte Sequenz „Tschernobyl“ -großdimensionierte Gemälde voll düsterer Zerstörungssymbolik und grauer Zerrissenheit – habe er „unter Qualen“ gemalt, gesteht er. Es sei „eine Schinderei“ gewesen. Die Identifikation mit seinem unfangreichen Werk und der ihm zugrundeliegenden Problematik ist total. Ähnlich total muß der schon körperliche Schmerz gewesen sein, den er empfand, als 1978 ein subalterner Oberforstrat, Leiter des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes im thüringischen Gotha, die Zerstörung eines plastischen Werkes des Künstlers anordnete. Monatelang hatte Werner Schubert-Deister den Raum für eine Bar des Betriebes auftragsgemäß künstlerisch gestaltet, bis die Wiederherstellung des Rohbauzustandes befohlen wurde. „Man muß erst an seine Grenzen geraten sein, um einen Ausreiseantrag zu stellen“, sagt Ehefrau Christa Schubert-Deister, mit der der Künstler drei noch schulpflichtige Kinder hat. Da gab es 1979 die Verhaftung von Westfreunden und die Verurteilung zu einer hohen Geldstrafe, weil aus einer – zuvor deklarierten – Bilderausfuhr in den Westen vier erfolgreiche Ausstellungen entstanden waren.

Der Staat, der den Künstler jahrezehntelang in die Ecke derjenigen schob, die Unsozialistisches produzieren, taxierte plötzlich das Ausfuhrgut hoch. Der gesamte materielle Rückhalt der Familie, über 50 000 Mark, Reste einer Erbschaft, wurden fällig. 190 Bilder mußten über den Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel in die DDR zurückgeführt werden. Dort blieben sie bis heute beschlagnahmt.

Die Summe des Profan-Gnadenlosen war es, die die Verbitterung produzierte und mit ihr den Antrag zur Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft.

Werner Schubert-Deister („Ich bin ein junger alter Vater“) thematisiert globale Gefahren für die Umwelt und die Faszination von Technik und Geschwindigkeit gleichermaßen. Zahlreiche Probleme der Naturwissenschaft erarbeitete er sich mit Pinsel und Stift. Von der seichten Unterwasserbewegung bis zur zerstörten Detonation, von der mathematisch klaren Durchdringung eines physikalischen Phänomens bis hin zur völligen Abstraktion und Gegenstandslosigkeit reicht die Palette seines Schaffens.

Das im Werk erkennbare plastische Raumempfinden findet seine Entsprechung in der Musikalität des Künstlers. Werner Schubert-Deister ist auch ausgebildeter Musiker. Kontrabaß und Klavier beherrscht er so virtuos wie seine breite Palette unterschiedlichster Materialien. Aus der Musik wurde das gemalte Objekt : Musikgraphiken nennt Schubert-Deister die zeichnerische Darstellung von Kompositionen berühmter Musiker.

Die musikalische Ausbildung sicherte ihm die materielle Existenz in den 50er Jahren. In den 60er und 70er Jahren gestaltete er bildhauerisch mehrere katholische Kirchen in Thüringen. Hauptbetätigungsfeld blieben aber stets Malerei und Graphik, der jedoch im DDR-Kulturbetrieb kaum Präsentationsfläche eingeräumt wurde. Der erste Schritt in die westliche Öffentlichkeit war getan mit der Beteiligung an der Jahresausstellung der Hildesheimer Gruppe des Bundes Bildender Künstler im Hildesheimer Roemer-und Pelizaeus-Museum.

Politische „Bezüge“ seines Schaffens sieht der Künstler nicht: Er selbst und sein Werk sind eine einzige politische Aussage. Er war Mitglied im Verband bildender Künstler der DDR. Doch in der DDR nützte ihm dies herzlich wenig, genau so wenig seine zeitgleiche Mitgliedschaft im Verein Westberliner Künstler. Gleichwohl besitzen sowohl die Nationalgalerie West-Berlin als auch die Nationalgalerie Ost-Berlin Bilder von ihm. Oder: „Tschernobyl kann auch in den USA passieren, ich freß keinem aus der Hand.“ Werner Schubert-Deister beschreibt den Weg des Nonkonformisten, der sich keinem Lager zuordnen läßt, dem schon jede Lagermentalität zuwider ist. Solch einen Künstler zu entdecken und kommerziell-westlich zu „vermarkten“, dürfte nicht jedem Galeristen gelingen.