'Unvollkommene Welt' ästhetisch - Gedanken zur Ausstellung (1979)

Neuburger Rundschau, 3. August 1979 - von Peter Abspacher

Künstler zu sein, und zwar so, daß dieser Anspruch wirklich zurecht besteht, ist in Ost und West wohl nicht dasselbe. Freilich macht es keinen Sinn, die Trennungslinie hier anhand sehr grober wirkkräftiger Schwarz-Weiß-Raster zu ziehen. Nicht die Entgegesetzung von freier, gänzlich ungehinderter Entfaltung des kritisch-künstlerischen Geistes in den Länderns des Westens gegenüber der Knebelung einige Kilometer weiter östlich trifft den Sachverhalt adäquat. Für Qualität und wirkliche Bedeutung ist die Versuchung, durch stromlinienbewußte geglättete Anpassung auf Hochglanz in den jeweiligen Trend des Kunst- und Unsinnmarktes getrimmt im Wettlauf des Schickeriakommerzes die Nase vorn zu behalten, mindestens genauso groß wie die, für geneigten Verzicht auf Rückgrat ein paar Staatspreise und ab und an einen kleinen Auftrag bei der Ausgestaltung eines republikeigenen Kulturpalastes zu erhalten.

Es gibt für den Künstler nur eine rechtfertigende Grundlage, die wirklich trägt: auf der Höhe seiner Zeit zu sein, ihrer wahren Machtverhältnisse, ihrer bewegenden und gemmenden Kräfte – und nicht ein bequemer und mit der Wirklichkeit nicht ernsthaft befaßter Produzent eines schönen Scheins. Wer solche Ansprüche stellt, der wird in der Ausstellung des DDR-Künstlers Werner Schubert-Deister („Die unvollkommene Welt“) ästhetisches und intellektuelles Vergnügen gefunden haben in einer recht seltenen Verbindung.

Der Künstler arbeitet im thüringischen Friedrichroda unter Bedingungen, die nicht leicht sind; beobachtet von Stellen, mit denen friedlich auszukommen fast schon ein Zeichen nicht vorhandener Qualität sein kann, ist dieser ständige potentielle Druck aber nicht nur eine Belastung negativer Art. Er zwingt auch, genauer und umfassender zu denken und zu arbeiten und nimmt manche Versuchung, die aus dem Streben nach Vordergründigkeit des Effekt kommt. Solcher Zwang über Jahrzehnte zur Schärfe und umfassender Durchdringung hat – neben anderen Faktoren – dem Künstler Werner Schubert-Deister eine Art von Qualität ermöglicht, für die die Ausstellung im Fürstengang zeugt.

Schärfe des Hinein- und Hindurchschauens, Unbedingtheit der künstlerischen Sicht in dem wörtlichen Sinn der Befreiung von der unmittelbaren Faszination durch den Schein des „Dings“ konkretisiert sich in Bildern von kraftvoller Eindringlichkeit. Da kommt einer der falschen, weil den Blick verstellenden „normativen Kraft des Faktischen“ auf die Schliche und setzt Visionen von zwingender Schlüssigkeit. Im Themenbereich „Das Bild des Menschen“ steht die Aquarellkomposition „Computerkopf“ vor dem Betrachter und zwingt ihn in kritische Distanz zu sich selbst. Sollten in diesem Bild Reminenzenzen an die ersten Versuche der menschlichen Art enthalten sein, sich in Malerei und Zeichnung auszudrücken, aus einer Zeit, die archaisch verdunkelt ist und sich dem Zugriff des wissenschafllichen Denkens noch immer mit großem Erfolg entzieht? Zusammenhänge stehen vor uns, die sich auf unserer um vieles höher entfalteten Stufe der Naturaneignung doch ähnlich präsentieren: die Fragen scheinen den Antworten weit voraus, Beherrschbarkeit und „Ordnung“ sind ständig gefährdet, der „Computerkopf“ vermandelt sich Zeichnungen aus frühester Zeit an, die Komposition ist gebrochen und stückhaftes Werk.

Werner Schubert-Deister versucht keine Ästhetik des „Hässlichen“, er geht einen Weg der Kompromisslosigkeit in Vertiefung und Verdichtung, der sich durch keine Einsprüche am deutlichen und selbstsicheren Pfad beirren lässt. Nirgend wirft er über Konflikte, über schmerzlich-absurde Gegensätze den eklen Mantel der befohlenen Aufhebung.

Freilich bleiben seine Bilder nicht in der Verzweiflung über das Elend stehen, das sich mit welchem Etikett auch immer als Gerrlichkeit ausgeben möchte (ob da ein SED-Parteitag in frecher Ignoranz per Abstimmung die erreichte Aufhebung aller Widersprüche verkündet oder ein kapitalistischer Wirtschaftsminister die Ausplünderungen der ärmsten Länder in die berühmten „Segnungen unserer Zivilisation“ umlügt, macht da keinen wesentlichen Unterschied). Schubert-Deister bannt die Unvollkommenheit, verstanden als große Abwesenheit – nicht aber als Unherstellbarkeit – von Vernunft in eine schöne Ästhetik des „Unvollkommenen“.

An einigen Bildern sei der Versuch einer Interpretation festgemacht. „Conterganfamilie“: In schwebender Spannung eingefangen die Dialektik unserer Zeit, die sich mir der Perfektionierung der Lebensbeherrschung die mögliche Perfektion der Lebensvernichtung selbst schafft und zugleich die Hilflosigkeit ihr gegenüber. Denn die Entwicklung läßt sich nicht in Sehnsucht nach kindlicher Unschuldigkeit einfach zurückdrehen, sie produziert Auseinandersetzungen mit einem bösen Partner, der Gewalt.

Gewalt ist für Schubert-Deister ein zentrales Thema; ob in den Kompositionen „Kriegsgespenst I, II, III“, „Ost-West-Konflikt“, oder „Das Böse“, gebannt sieht das Auge auf scharf konturierte Schwarztöne, aufreißende Durchblicke, verdichtete Bilder an Momente höchster Spannung. Ungreifbar, keine bestimmte Vorstellung evozierend und keinerlei schnelle Personifizierung erlaubend fordert die Sicht des „Bösen“ gerade die Phantasie zu immer genauerer Krativität heraus.

Eine Liebeserklärung an die Weite und die Freiheit aller geistigen Produktion das Bild „Tanzende Ideen“, eine Kampfansage des Künstlers an die bornierten Spitzen aller Bürokratien, Regierungen und die Intoleranz des ungesunden „Volksempfindens“, der Wille zur Selbstbehauptung des Zerbrechlichen.

Computerkopf

Conterganfamilie