Persönliche Erlebnisberichte

mit Werner Schubert-Deister

Er saß an seinem großen Taufstein aus Granit, den er einst geschaffen hatte, den dann aber doch niemand haben wollte- und so diente er ihm als Fundament und „Arbeitstisch“ für seine Werke. Werner war so vertieft in sein Schaffen, dass er gar nicht bemerkte, dass ein Besucher eingetreten war. Um Ihn herum auf dem Boden verstreut lagen unzählige Werke, die fast wie am Fließband entstanden. Seine großen, schwieligen Hände tauchten Pinsel, Schrauben, Nägel und andere Utensilien in die Plastekübel, welche mit guter, bunter Barocktinte gefüllt waren und fuhr wie besessen über die glänzenden weißen Papier-Malgründe. Wie ein galoppierendes Pferd hinterließen seine beiden „Künstlerhufe“ wunderbare räumliche Striche, Figuren und Formen, die sich nach und nach zu wunderschönen Bildern verdichteten.
Doch plötzlich hielt er inne – jetzt hatte er bemerkt, dass ein Fremder den Raum betreten hatte:“ Was willst du hier“, brüllte er, „ständig kommt hier irgendein Arschloch herein und stört mich – und du bist das größte unter den Arschlöchern!“ Nachdem sich mein erster Schock gelegt hatte, war ich dann doch beleidigt, drehte mich um und wollte gehen. Da fiel sein Blick auf eine Flasche Rheinwein, die ich gerade unserem Westbesuch stibitzt hatte. Ich wollte sie mit Werner zusammen trinken, wie wir das schon so oft getan hatten, und mit ihm über Gott, die Welt und seine Kunst diskutieren. Sofort stieg seine gute Laune: “Na, wenn du schon mal da bist, dann bleib schon! Ich sehe, du hast was mitgebracht!“ „Ja, sagte ich, „wie immer, „Bodespitzen“- seine Lieblingszigarren- und ein Fläschchen Wein!“

Was soll ich sagen, es war ein wunderschöner Nachmittag, Werner interpretierte seine gerade geschaffenen Werke und ich muss zugeben, dass ich in meinem Leben noch nie einen so brillanten und fantasievollen Menschen getroffen habe, wie er es war. Seine Bilder schienen unter seinen Erzählungen zum Leben zu erwecken. Einen besseren Zugang zu seinen Werken und zu Kunst im Allgemeinen konnte man sich nicht wünschen. Dafür bin ich ihm bis heute unendlich dankbar.
Ihm habe ich auch zu verdanken, dass ich mich nie aufgegeben habe und bis heute im Rahmen meiner Möglichkeiten versucht habe, mich künstlerisch zu verwirklichen- und das kam so:
An Wochenenden war ich sehr oft in der Malerwerkstatt meines Schwiegergroßvaters Paul Klein. Dort roch es verführerisch nach Farben, Terpentin und die Stille in den alten Malerräumen regte mich an, zu malen. Ich hatte gerade eine Leinwand vorbereitet und begann Vincent van Goghs „Starry night“ zu kopieren. Auf einmal tauchte Werner in der Werkstatt auf und fragte mich barsch und grußlos: “Wo ist denn Meister Paul?“ Ich antwortete brav, dass er wahrscheinlich in seiner Wohnung sei und bot ihm an, ihn zu rufen. Da fragte er mich ganz plötzlich: “Was machst du da eigentlich?“ Ich antwortete höflich, dass ich gerade male. „Was heißt hier malen, du malst nicht, du kupferst ab! Und dann noch einen van Gogh, das geht gar nicht! Merke dir eins, du kannst einen Rubens kopieren, einen Dürer oder einen Rembrandt- das geht alles mehr oder weniger gut, aber niemals einen van Gogh, das ist ein Sakrileg!“ Während dieser Schimpfkanonade wurde ich immer kleiner- meine kleine Künstlerflamme war kurz vor dem Erlöschen – doch plötzlich schlug er wieder versöhnliche Töne an: „Komm mit in meine Werkstatt, dann gebe ich dir was!“ Ich folgte ihm und er drückte mir eine Fichtenbohle, ein Klopfholz und ein Stemmeisen in die Hand. „Hau damit ab und mach was Ordentliches draus! Aber versau es nicht!“
So trollte ich mich nach Hause, schob den verkorksten van Gogh vom Tisch uns stemmte drauflos. Es entstanden pflanzliche Ornamente, die sich zu einem recht harmonischen Ganzen zusammenfügten. Das Ergebnis fiel bei Werner wider Erwarten nicht durch! Und so entstand über viele Jahre ein Freundschaft.

Andreas Schmidt

Wie alle anderen Menschen im Ostteil Deutschlands war auch WERNER SCHUBERT ab 1961 mit dem Mauerbau von der Welt abgeschnitten. Mit der Doktrin des Sozialistischen Realismus und der Kulturpolitik des Bitterfelder Weges konnte er nichts anfangen; das war zu platt, zu dumpf und vor allem zu politisch indoktriniert. Da blieb für kreative Köpfe und schöpferische Geister nicht viel Platz. Wer nicht mitmachte, hatte damals keine Chance, am offiziellen Kunstbetrieb zu partizipieren. Also musste er sich einerseits Partner und Verbindungen suchen, die bereit waren, seine geistig ideellen Werte mitzutragen, und andererseits musste er eine Basis finden, die sein rein materielles Überleben sichern konnte, was ihm mit einer sehr spartanischen Lebenshaltung und einer gewissen Zurückgezogenheit auch gelang.

Und dennoch: Trotz oder vielleicht sogar aufgrund der offiziellen Ignoranz war dieser Schubert aus Friedrichroda damals allen, aber auch allen, die sich auch nur annähernd mit Kunst, Philosophie und Gestaltung beschäftigten, ein Geheimtipp. Er war eine Offenbarung geistiger Unabhängigkeit innerhalb eines spürbar abgeriegelten Systems. Und er war eine riesige Herausforderung für jene, deren Weltbild nur vom Schulwissen „Weltall – Erde – Mensch“ geprägt war, sowie für jene, die oberflächlich daherkamen und für alles und jedes eine Antwort parat hatten.

In dieser Zeit, Anfang der siebziger Jahre, habe ich bei ihm angeklopft als vermeintlich gescheiterter Kunststudent. Er hat mir nicht nur im Wortsinn die Tür geöffnet, er hat mir Fenster aufgestoßen und Horizonte gezeigt, die unsereins zu überwinden hatte. Und nicht nur mir! Es gab damals viele, sehr viele Menschen, die sich geradezu von ihm angezogen fühlten. Mir sind sie immer noch gegenwärtig, die philosophischen Abende mit Tschechischen Professoren, Musikern und Komponisten wie Karl-Ernst Sasse, der schon damals berühmte Filmkomponist aus Babelsberg. Auch die gesamte Theologische Fakultät der Erfurter Uni und einige Professoren der Leopoldina Halle gingen im Atelier der Karl-Marx-Str. in Friedrichroda ein und aus. Überhaupt waren die siebziger Jahre für WERNER SCHUBERT persönlich die wohl besten, hinsichtlich einer für damalige Verhältnisse durchaus öffentlichen, wenngleich nicht offiziellen Wahrnehmung sowie dank der Eheschließung mit Christa Deister. Mit der Geburt der Kinder David, Judith und Jonas gewannen die familiäre Fürsorge und die persönliche Verantwortung größere Priorität. Damals habe ich ihn als eine äußerst starke Persönlichkeit erlebt, der niemand und nichts etwas anhaben konnte. Er war aber nicht nur für Intellektuelle ein Anlaufpunkt. Mit seiner starken sozialen Prägung und Ausstrahlung war er allen möglichen problembehafteten Menschen ein guter Helfer. Auch den vielen jungen Schülern und Studenten, die sich an den gesellschaftlichen Zuständen rieben und daran fast zerbrachen, war er eine moralische Instanz. Die beiden Brüder und Musiker Michael und Matthias von Hintzenstern können dies aus eigener Erfahrung bestätigen. Besonders seine engen Kontakte zur Jenaer Studentengemeinde sind mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Sie bezeugen, dass mit der Zivilcourage und dem Widerstand Weniger, ja Einzelner bereits damals in den siebziger Jahren an den Grundfesten dieser unheilvollen Diktatur gerüttelt wurde. WERNER SCHUBERT-DEISTER war kein Maler im Elfenbeinturm – das war einer, der Mitten im Leben stand, dem nichts Menschliches fremd war.

Auszug aus Laudatio zur Ausstellung „Seismogramme“

Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund, Berlin, 09.12.2009

Gert Weber

Gert Weber

Früherer Schüler

Als ich klein war, beschrieb ich die Bilder meines Vaters als ‘Krickelakrack’. Diese zusammenhanglosen Striche bekam ich auch hin. Ich war damals 5, im Kalender stand das Jahr 1986. Ich hatte gerade mit meinen Eltern und meinen beiden älteren Geschwistern den Ort verlassen, in dem ich aufwuchs.

Auf der Zugfahrt, die uns in “den Westen” bringen sollte, dachte ich an die vielen Kisten, die in den Stunden zuvor eilig gepackt und sorgfältig durchnummeriert wurden. Die Kisten seien in einem Transportfahrzeug – mit dabei die geschaffenen Bilder aus einer scheinbar unendlichen Zahl von bemalten Papieren und Holzplatten.

In der neuen Heimat schmeckte alles anders, war alles anders. Im Winter konnte ich nicht mehr anständig rodeln. Rübentaiga. Das war das Wort, wie mein Vater das flache Land bei Hildesheim bezeichnete.

Noch in der ersten Woche kam ich in den Kindergarten, ein Jahr später in die Grundschule. Meinen Vater besuchte ich fast täglich auf dem Schulweg in seinem Atelier. Ich war der Einzige, der ihm beim Arbeiten zusehen durfte. Sonst sah ich ihn kaum und ich wusste, es gäbe wieder Süßigkeiten.

Der Geruch im Atelier nach Farben und Terpentin, das scheinbare Durcheinander, wieder neue Kritzeleien, die kräftigen und bemalten Hände meines Vaters, die zielgenau seine Instrumente führten, sein sich ändernder Gesichtsausdruck und zufriedener Blick auf das fertiggestellte Objekt als ob er bei der Entstehung ganz woanders war. Das alles war mir vertraut. In seinem Refugium fühlte ich mich wohl.

Zu meiner Kommunion spielte mein Vater die Orgel in der Borsumer Kirche. Ich fand sein Spiel schön und war stolz, dass seine Musik in all die Ohren der Kinder und ihrer Familien dringt. Im Dorf kannte man ihn – zu übersehen war er mit seinem weißen Kittel, schwarzer Baskenmütze und seinem nachziehenden Bein nicht. Überhaupt schien er mit seinem Geschichtenerzählen und seiner Kunst auch hier mehr und mehr Menschen zu beeindrucken. Ich wusste, er war ganz anders als alle anderen Menschen, die ich bisher in meinem Leben beobachtet hatte. Noch dazu war er nicht so jung wie die Eltern der anderen Kinder. Das fand ich toll.

Im Textilunterricht der 4. Klasse häkelten wir gerade. Laut meinem Vater war das keine angemessene Jungenbeschäftigung. Spaß hatte ich trotzdem ein wenig. Während des Unterrichts klopfte es an der Klassentür, meine Mutter kam herein und nahm mich mit ins Auto. Auf dem Weg nach Hildesheim erzählte sie mir, dass meine Geschwister bei meinem Vater im Krankenhaus seien. Ihm ginge es schlechter.

An diesem 14. Januartag 1991 waren wir alle an seiner Seite. Wir wussten, er würde heute sterben.

Die Traurigkeit blieb. Die Leere allerdings begann sich in den kommenden Jahren zu füllen. Das Werk, das er hinterließ, wurde für mich zu einem Anker und Bezugspunkt. Das Krickelakrack begann sich zu verändern. Es gewann eine Form, später eine Aussage. Früh begann ich die Auseinandersetzung mit seinem Werk. Ich hatte das Gefühl, ihn besser kennenzulernen, seine Erfahrungen ein Stück weit nachzuempfinden.

In diesem Prozess bin ich noch heute und ich möchte meine bisherigen Einsichten und Entdeckungen teilen. Vor allem kann ich Einblicke in seine Vita geben und so Hilfestellungen für den Betrachter des Werks geben, dieses zu interpretieren. Ich bin kein Kunstwissenschaftler oder Historiker – daher liegt es mir fern, auch wegen der persönlichen Nähe zum Künstler, die Deutungshoheit über das Werk von Werner Schubert-Deister einnehmen zu wollen. Andere können dies besser – und genau jene möchte ich aufrufen, dabei zu helfen, das Werk aufzuarbeiten.

Erlebnisberichte

Jonas Deister

Jonas Deister

Sohn des Künstlers